„Träume sind Schäume“, sagt der Volksmund, und wenn jemand unrealistische Wünsche äußert oder einer „fixen Idee“ hinterherrennt, warnen wir ihn: „Mach Dir keine Illusionen!“

Aber eine Vision zu verfolgen, ein Ziel zu haben, muss kein illusionärer Tagtraum sein, sondern kann eine Kraftquelle für den Alltag werden.

Das beste Beispiel dafür ist der schwarze Bürgerrechts-Aktivist und Pastor Dr Martin Luther King. Von dem viele nur vier Wörter kennen:

„I have a dream“. Ich habe einen Traum. Es war nicht der

amerikanische Traum „vom Tellerwäscher zum Millionär“.

Es war nicht der naive Wunsch nach „Friede, Freude, Eierkuchen“.

Es war gar nicht der Traum eines jungen Baptistenpredigers aus

Alabama zur Zeit der 60er Jahre – es war und ist Gottes Traum für die ganze Welt. Gottes Vision und Verheißung, wie seine geliebten Menschenkinder miteinander leben sollen und können: In Frieden und Gerechtigkeit nämlich. Martin Luther Kings kurzes Leben ist ein beeindruckendes Zeugnis dafür.

Viele schauen auf einen Helden der Humanität und des Glaubens und sagen: „Bewundernswert, schön und gut, aber so toll bin ich nun mal nicht“. So betont man den großen Abstand zwischen einem Friedensnobelpreisträger wie Martin Luther King und uns Normalbürgern. Damit können wir vermeiden, dass wir seinem Vorbild nacheifern müssen. Als wenn es auch in unserem Land nicht mehr gäbe, wogegen King protestierte: Ausgrenzung und Benachteiligung von Menschen anderer Hautfarbe, anderen Glaubens, anderer Herkunftskultur und Lebensgewohnheiten. Verachtung der Armen, Spott für Bildungsferne, Misstrauen und Hass gegenüber Fremden. „Wenn ich mit dem Finger auf andere zeige, zeigen immer drei Finger auf mich selbst“ sagte King. Er kannte die Ohnmachts-Lethargie im eigenen Herzen, die Wut im eigenen Bauch, die Rachegelüste und Gewaltfantasien im eigenen Kopf, wenn ihm Unrecht geschehen war und er oder andere leiden mussten. Ihm waren seine Versäumnisse als Ehemann und Vater bewusst. Aber: Martin Luther King nahm sich Zeit zum Beten. Er bat Gott um Vergebung, er bat seine Frau und seine Freunde, seine Mitarbeiter und Kollegen um Verzeihung und bemühte sich um Versöhnung selbst mit politischen Gegnern.

In der Bibel heißt es:

 „Der Herr sprach zu Mose: Ich habe das Elend meines

VEolkes gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört, ich habe ihre Leiden erkannt. Deshalb gehe nun hin, ich will Dich zum Pharao senden, damit Du mein Volk aus Ägypten führst.“

 (Exodus 3, 7 und 10)

Jesus sagt: „Der Geist des Herrn hat mich gesandt, den Armen frohe Botschaft zu bringen, den Gefangenen Befreiung zu  verkünden und den Blinden das Augenlicht. Die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“ ( Jesaja 61, 1 und 2 zitiert in Lukas 4, 18 und 19)

Dem Mann, der die Apartheid in den USA abschaffte, ging es nicht um seine privaten Wunschträume, sondern um die konkrete Umsetzung einer Forderung Gottes aus dem biblischen Buch Amos: „Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit

wie ein nie versiegender Bach.“

Der Friedensnobelpreisträger und Empfänger von über dreihundert akademischen Auszeichnungen und Preisen wurde in den nur 13 Jahren seiner Tätigkeit 20 mal verhaftet und mehrmals brutal zusammengeschlagen. Einmal stach ihm jemand einen Brieföffner zwischen die Rippen, drei Mal flogen Bomben in sein Haus. Trotzdem hielt er daran fest: Der Drang nach Freiheit und Gerechtigkeit ist unaufhaltsam. Geschlagen werden ist machtvoller als schlagen. Die Kraft des Leidens ist wirkungsvoller als die Macht der Gewehre.

Verrückt? Ja. Aber nicht verträumt.

Martin Luther King schrieb einen „Brief an die Gemeinden der Stadt“:

„Sie haben uns als zu extrem abgelehnt. Aber war nicht Jesus ein Extremist der Liebe, als er forderte: Liebet Eure Feinde, segnet, die Euch fluchen? War nicht Martin Luther extrem, als er vor Kaiser und Papst sagte: Hier stehe ich, ich kann nicht anders? Die Frage ist nicht, ob wir Extremisten sind, sondern

wofür wir Extremisten sind. Ich liebe die Kirche. Aber während zur Zeit der Urchristen die Kirche von den Herrschenden sofort als Gefährdung ihrer Macht begriffen und bekämpft wurde, dient sie heute nur der Zementierung eines moralischen Status

Quo. Wenn wir heute nicht den Opfergeist und die Leidensbereitschaft der frühen Christen zurückgewinnen, wird die Kirche nur noch ein Thermometer für die Stimmung der Gesellschaft sein, nicht mehr das Thermostat für Moral und

Gerechtigkeit der Gesellschaft.“

Am 2. Mai 1963 wurden 959 Kinder verhaftet und in die Gefängnisse gebracht. Am 5. Mai schließlich geschah das

sogenannte „Wunder von Birmingham“: Die Demonstranten knieten nieder und verharrten im schweigenden Gebet. Und plötzlich weigerten sich die Polizisten, den Räumungsbefehl durchzuführen. Sie nahmen ihre Helme ab, ließen die Schlagstöcke sinken und wichen zurück. Es war ein Akt zivilen Ungehorsams der Ordnungskräfte gegen ihre Vorgesetzten. Es war der Durchbruch gewaltfreien Widerstands gegen die

Ungerechtigkeit. Justizminister Robert Kennedy entsandte 3000 Mann der Nationalgarde nach Birmingham und entfernte den Polizeichef für immer aus dem Amt. Martin Luther Kings Forderungen wurden von der Stadtverwaltung erfüllt.

„Gottes Geist, von dem Jesus sagt, dass er uns wie eine Mutter trösten kann, war mir in der Gefängniszelle so spürbar wie kaum jemals zuvor“, erinnerte er sich später.

Martin Luther King zitierte immer wieder: „Wer zum Bösen schweigt, ist ebenso schuldig, wie der, der es tut.“

Die Utopie des 19.Jahrhunderts war die Abschaffung der Sklaverei. Unvorstellbar im Kolonialreich des British Empire und in den Vereinigten Staaten. 1807 in England und 1863 in den USA war es soweit.

Die Utopie des 20.Jahrhunderts war Friede zwischen den Völkern Europas. Unvorstellbar nach zwei Weltkriegen mit mehr als 70 Mio Toten. Er wurde Realität.

Im Westen 1945, in ganz Europa 1989.

Was ist die Utopie des 21.Jahrhunderts? Was wird heute als naive Gutmenschen-Träumerei verhöhnt oder gar bekämpft?

Wer sind die Menschen, für deren Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit, für deren Menschenwürde und Freiheit

Martin Luther King kämpfen würde?

King sah im Traum, dass man sich als Geschwister schätzt.

In weitem Raum sich an den Tisch des Friedens setzt.

Auch unser Traum:

Dass seine Arbeit, sein Gebet in unsern Herzen weitergeht.

Ein Gebet:

Herr segne uns und lass uns dankbar sein.

Wir woll`n Dich loben solange wir leben

und mit den Gaben, die Du uns gegeben,

wollen wir tätig sein.

Herr segne uns und lass uns nicht allein

Dein Wort und Beispiel zu bewahren,

in der Gemeinde Kraft erfahren,

Brüder und Schwestern sein.

Herr sende uns, lass uns Dein Segen sein

Wir wollen helfen, wollen heilen

Und unser Leben wie das Brot zuteilen –

Lass uns ein Segen sein.