…oder auch: „Menschenskind, wie sieht es in unserer Wohnung aus?!“ Wenn meine Kinder diesen Ausruf von mir hören, dann suchen sie in der Regel ganz schnell das Weite. Sie wissen nämlich genau, dass ich wütend bin, wenn ich dieses Wort benutze: Menschenskind! Was sie oft nicht wissen: Eigentlich bin ich in diesen Momenten eher erschöpft als böse. Ich sehe dann nicht das vorangegangene schöne Spiel im Wald, sondern nur die Tonnen von Sand und Dreck die ich aus ihnen und ihren Kleidern herausschüttele (natürlich auf unseren frisch geputzten Flur), ich würdige in solchen Momenten nicht die Kreativität und ihren Einfallsreichtum, die Grundlage ihres selbsthergestellten Schleims aus Rasierschaum, Aquarellfarbe, Mehl und Olivenöl waren, sondern ich sehe nur die Arbeit und Energie, die es mich kosten wird, sie dazu zu bringen, die Spuren auch wieder zu beseitigen, wenn ich verhindern will, dass es allein an mir hängen bleibt. Aber halt: Es soll hier gar nicht um Kindererziehung gehen, bzw. um den täglichen Balanceakt einer Mutter zwischen Verständnis bzw. Nachsicht und der klaren Ansage, dass zu Spiel und Spaß auch das lästige Aufräumen gehört- sondern um das kleine Wort: Menschen(s)kind. Denn eigentlich ist es ein wunderschönes, wenn nicht mindestens zweideutiges Wort und viel zu schade, um es (nur) zum Schimpfen zu benutzen. Heißt es doch: Ich erkenne dich als Kind, als Mensch an. Und neben dem Vorwurf oder dem Erschrecken kann auch Erstaunen über dieses Wesen, das wir Menschen nennen, stecken. In diesem Wort steckt so viel Würde.

„Menschen(s)kind“ lautet auch das diesjährige Motto der Woche der Diakonie. Und dieses Motto lässt ganz bewusst viel Raum zur Interpretation. „Menschenskind!“ ruft man wütend aus, wenn etwas nicht klappt, etwas ganz anders läuft, als man sich das vorgestellt hat oder man schlicht überfordert ist. Mit anderer Betonung kann die Intention und Wirkung aber auch eine ganz andere sein: „Menschenskind, wie du das alles hinbekommst!“, kann man seinem Gegenüber anerkennend zurufen. Und Menschenskind, wie einzigartig Gott doch jedes einzelne „Menschenkind“ erschaffen hat! Einzigartig bedeutet aber nicht perfekt: Wir alle haben Probleme, Ängste, Nöte und Sorgen- und dennoch sind wir von Gott als seine Kinder geliebt und angenommen. Die Diakonie will immer das einzelne, von Gott in seiner Einzigartigkeit geliebte „Menschenkind“ in den Mittelpunkt stellen, ob in der Arbeit mit geflüchteten, alten, psychisch erkrankten Menschen, Menschen mit Behinderung, in Armut oder einer anderen Notlage. Denn die Diakonie und Kirche stehen den Menschen in unterschiedlichen Situationen schon vor der Geburt bis zum Lebensende bei. „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ (Lukas 18,41). So fragt Jesus Bartimäus, bevor er etwas tut. So fragen auch die Berater*innen die Menschen, die zu ihnen kommen. In jedem Kirchenbezirk ist das jeweilige diakonische Werk Anlaufstelle für alle Fragen, Sorgen und Nöte, die das Leben mit sich bringen (in unserem Kirchenbezirk gibt es sogar zwei Standorte: Schwetzingen und Wiesloch): Ob Trauer, Armut, ein unverständlicher Bescheid, Probleme mit dem Partner oder dem Kind- die Berater*innen bieten selbst Gespräche an oder vermitteln in diakonische oder andere Beratungsstellen. Wenn es um Schulden geht oder Alkohol, psychische Erkrankungen, Mietschulden etc.- bevor die Beratenden selbst tätig werden, fragen sie die Ratsuchenden, was sie brauchen, damit das Leben weitergehen kann. Zusammen wird ein Hilfeplan erarbeitet oder die Menschen bekommen Tipps, wer sie kompetent beraten und unterstützen kann. Wichtig sind der Diakonie gute Qualität der Beratung und Information, Verschwiegenheit und dass niemand ratlos zurückbleibt. Und die Diakonie hat auch eine „anwaltschaftliche“ Funktion: sie spricht immer wieder unbequeme Themen an und setzt sich für Menschen ein, die am Rande der Gesellschaft stehen.

Damit u.a. Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftige, Flüchtlinge, Obdachlose, Langzeitarbeitslose und Familien, die Unterstützung brauchen, nicht übersehen werden, braucht es viele engagierte Menschenkinder unter uns. In den knapp 2.000 diakonischen Angeboten in Baden arbeiten Menschen für Menschen und machen sich dafür stark, dass alle gleichermaßen am sozialen Leben teilhaben können. Für unseren Kirchenbezirk Südliche Kurpfalz haben wir übrigens im Jahr 2018 einen überarbeiteten Diakoniewegweiser herausgegeben, der alle diakonischen Beratungs- und Unterstützungsangebote in unserer Region enthält (und in unserem Pfarrbüro erhältlich ist).

Und natürlich braucht es dafür nicht nur Menschen, sondern auch Geld! Vieles kann die Diakonie aufgrund des Subsidiaritätsprinzips abrechnen, bekommt also für ihre Dienste Geld vom Staat, dem Land und der Kommune, aber einiges bleibt eben doch offen und sie versucht, die Defizite u.a. mit Spendengeldern aufzufangen.

Die „Woche der Diakonie“ (in diesem Jahr vom 27.6- 5.7) ist seit vielen Jahren die größte Spendenaktion für die diakonische Arbeit in Baden (und Württemberg), in allen Kirchengemeinden wird für diese Aktion gesammelt, als Pflichtkollekte im Gottesdienst, über ein Spendenkonto des DW Baden und auch mit Hilfe von sog. Straßensammlungen. Und doch kommt die „Woche der Diakonie“ schon lange in vielen Gemeinden oft viel zu kurz- auch weil wir Hauptamtlichen sie nicht immer genug im Blick haben, das Gemeindesommerfest wieder just auf den Diakoniesonntag fällt, oder man sich scheut, das Thema gut und informativ für die Gemeinde aufzubereiten. Auch ich muss gestehen, dass ich in den letzten Jahren so manche Woche der Diakonie nur am Rande zur Sprache gebracht habe und ihr nicht die Aufmerksamkeit geschenkt haben, die sie eigentlich verdient hätte. Allerdings ganz bewusst haben wir uns in Sandhausen gegen Straßensammlungen entschieden, die ja bedeuteten, dass Gemeindeglieder an den Haustüren klingeln und um Spenden für die Diakonie bitten. Ich selbst mag es nicht, wenn ich spontan an der Haustüre für etwas Geld geben soll, mich nicht richtig informiert fühle und zusätzlich unter dem Druck stehe, dass da jemand wartet, der mit der Büchse rappelt, und ich unverzüglich entscheiden muss, wieviel Geld ich denn jetzt gebe, geschweige denn auch gerade im Geldbeutel habe. Im Gottesdienst dagegen bin ich darauf eingestellt, dass es eine Kollekte gibt, gerne nehme ich mir auch Überweisungsträger/ Spendentüten oder Kontodaten mit nach Hause, um dann in Ruhe zu überlegen, wie viel ich geben möchte und auch kann. Und ich sehe es als Aufgabe von uns Hauptamtlichen an, die Gemeinde ordentlich zu informieren, um was es geht! In diesem Jahr ist die Woche der Diakonie übrigens aufgrund der Coronapandemie besonders gefährdet, der Eröffnungsgottesdienst in Bad Krozingen konnte nicht stattfinden, die Öffentlichkeitsarbeit war stark eingeschränkt und auch die Straßensammlungen sind unter den gegebenen Umständen gar nicht erlaubt. Deshalb möchte ich wenigstens auf diesem Wege auf die diesjährige Woche der Diakonie aufmerksam machen und Ihnen die Möglichkeiten zum Spenden nennen: Am 28. Juni wird die Pflichtkollekte im Gottesdienst für die Woche der Diakonie sein, am Ausgang der Kirche haben wir auch Spendentüten ausgelegt und es gibt es ein offizielles Spendenkonto (Diakonisches Werk Baden, Evangelische Bank eG IBAN: DE 95520604100000004600 BIC: GENODEF1EK1 Kennwort: „Woche der Diakonie“). Für jede Spende sind wir dankbar!

Die Diakonie Württemberg hat vor einigen Jahren ein kleines Buch mit verschiedenen Texten, Geschichten und Gebeten herausgegeben und allen ihren Mitarbeiter*innen geschenkt, die in der Diakonie tätig sind. Es soll sie stärken, sich den vielen Situationen zu stellen, die auf sie warten: Mit Mut, Trost, Glaube und Humor. Auch ich lese immer wieder gerne in diesem Buch. Einen Text von Carl Rogers mag ich besonders gerne (und ich brauche ihn besonders dann, wenn wieder das passiert ist, was ich zu Beginn meines Impulses angedeutet habe und das mit Menschenskind! anfängt…)

 

Der Sonnenuntergang

Menschen sind genauso wundervoll wie ein Sonnenuntergang, wenn ich sie sein lassen kann. Ja, vielleicht bewundern wir einen Sonnenuntergang gerade deshalb, weil wir ihn nicht kontrollieren können. Wenn ich einen Sonnenuntergang betrachte, höre ich mich nicht sagen: „Bitte das Orange etwas gedämpfter in der rechten Ecke und etwas mehr Violett am Horizont und ein bisschen mehr Rosa in den Wolken“. Das mache ich nicht. Ich versuche nicht, einem Sonnenuntergang meinen Willen aufzuzwingen. Ich betrachte ihn mit Ehrfurcht. (Carl Rogers)