„Aller guten Dinge sind drei.“ So sagt man. Das gilt auch für die Art Gottes, sich uns Menschen mitzuteilen. Doch obwohl es um Wesenszüge Gottes geht, die durch die Bibel für uns Gläubige erkennbar und nachvollziehbar werden sollen: Leicht zu verstehen ist die Dreieinigkeit Gottes nicht. Das verhält sich wie im alltäglichen Leben: Je komplexer ein Sachverhalt oder unsere sozialen Kontakte sind, desto mehr fordern sie unser Mitdenken und unser Einfühlungsvermögen. Komplexe Zusammenhänge fordern uns als Ganzes. Um sie zu durchdringen, müssen wir uns ihnen intensiv widmen.

Als biblische Lesung ist für den Sonntag Trinitatis eine Geschichte aus dem Johannesevangelium vorgesehen, aus der man beides herauslesen kann: Eine scharfsinnig fachlich-religiöse Diskussion und ein damit verbundenes tiefes Ringen um Gemeinsamkeit und Verständnis auf der Beziehungsebene. Es handelt sich um das Lehrgespräch, das Jesus mit dem einflussreichen Pharisäer Nikodemus führt (Joh 3). Tief in der Nacht, verborgen vor den Augen und Ohren seiner Gesinnungsgenossen, stellt Nikodemus seine kritischen Fragen. Und Jesus antwortet, gemäß seinem für jüdische Gläubige neuartigen Gottesverständnisses.

Nikodemus und Jesus gehören unterschiedlichen Richtungen des jüdischen Glaubens an, berufen sich jedoch beide auf die Schriften des Alten Testaments. Beide haben sie den Wunsch, den Einfluss Gottes unter ihren Zeitgenossen zu mehren. Nur in der Frage wie, verfolgen sie sehr unterschiedliche Ansätze. Die Pharisäer hoffen, dass die Einhaltung aller Gebote aus dem Gesetzeswerk des Mose (der Thora) dazu führt, dass Gottes ewige Herrschaft hier auf Erden anbricht. Jesus dagegen sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ (Joh 18, 36) Und vertritt damit die Auffassung, dass Gott erst auf einer transzendenten Wirklichkeitsebene umfänglich erkennbar ist. Er lädt seine Zuhörer ein, sich für eine neue Erfahrungsebene zu öffen.

Eigentlich sprechen die beiden Bibel-festen Männer gar nicht von der Dreieinigkeit Gottes. Doch geht es in ihrer fachlichen Auseinandersetzung um den Wesenskern unserer Gottesbeziehung, und damit um die Natur Gottes selbst. Hören wir hinein in dieses Gespräch, in dem Jesus mit der Aussage beginnt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Nikodemus spricht zu ihm: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?“ Jesus antwortete: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ (Joh 3, 3-5)

Auch wenn dieser Wortwechsel über 2000 Jahre alt ist, erinnert er mich stark an die leidenschaftlich geführten Streitgespräche, die Theologen und Naturwissenschaftler seit der Zeit der Aufklärung immer wieder so oder ähnlich miteinander geführt haben. Es geht um die Erkenntniswege des Menschen und um die Frage, ob es neben oder gar unabhängig von der sinnlich wahrnehmbaren Welt noch andere für den Menschen relevante oder gar existenziell notwendige Einflüsse geben kann. Es geht um unsere Gottesbeziehung über diese Welt hinaus. Und Jesus vertritt den vom Intellekt her schwer nachvollziehbaren Glaubensstandpunkt: Es gibt die Möglichkeit, mit Gott in Beziehung zu bleiben, auch wenn wir diese erfahrbare Welt verlassen. Wir Menschen müssen im geistlichen Sinne neu geboren werden, um zwischen der irdischen und der überirdisch-himmlischen Wirklichkeit eine Verbindung herzustellen. Er wirbt also um Kontinuität in der Beziehung mit Gott – in der Gegenwart und über unser Leben hinaus. Er bietet uns nicht weniger an, als Anteil zu bekommen an der ewigen Herrlichkeit Gottes.

Was das mit der Dreieinigkeit Gottes zu tun hat? Gott ist auf vielerlei Weise erfahrbar. Ich möchte zwei davon näher ausführen:

Der klassische Weg zur Begegnung mit Gott führt über die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Überlieferung unserer Glaubenszeugen. Etabliert hat sich z.B. das eigene Studium der Bibel. Dafür existieren die unterschiedlichsten Übersetzungen und unzählbare Bücher mit einleitender Literatur. Daneben haben wir die unterschiedlichsten Formen der religiösen Unterweisung (Kindergottesdienst, Religionsunterricht, Konfirmandenunterricht). Flächendeckend angeboten wird auch das Miterleben von Schriftauslegung durch die Teilnahme an Andachten und Gottesdiensten. Oft schaffen für diese Art der Gottesannäherung die örtliche Gemeinde oder eine andere Ausprägung christlicher Zusammenkünfte (Kirchentage, Freizeiten o.Ä.) jeweils hilfreiche und nachhaltig prägende Erfahrungsräume.

Eine weitere Möglichkeit, Gottes Aufmerksamkeit und Nähe für real anzuerkennen, sehe ich in der persönlichen Erfahrung seelsorglichen Trostes. Es geht in Seelsorge und geistlicher Beratung nicht immer um Trost. Es ist jedoch ein wichtiger Bestandteil der Beziehungspflege, sich als eigenständige Person gesehen und mit allen Wesensmerkmalen angenommen zu wissen. Die Akzeptanz durch Gott – auch in den Brüchen und Fehlentwicklungen der eigenen Persönlichkeit und Biografie – können sich sehr tröstlich und versöhnlich auswirken. Dass Gott uns zugewandt bleibt, selbst dann, wenn wir uns selbst nicht mehr verzeihen oder vertrauen können, hat einen ungemein stützenden und kraftspendenden Effekt von außerhalb meiner selbst. Wo es gelingt, belastende (Selbst-)Vorwürfe dahin zurückzuweisen, wo sie herkommen, da entstehen neue Sichtweisen, die befreien. Gott möchte, dass wir sorgenfrei und unbeschwert unser Leben genießen können. Daran glaube ich. Wo Seelsorge und geistliche Beratung zur Klärung und zur Entlastung führen, ist in meinen Augen immer auch Gott mit seiner Liebe anwesend und in seinem Vertrauen in eine belastbare Beziehung zwischen ihm und mir erlebbar.

Und was hat das mit der Dreieinigkeit Gottes zu tun? Ich bin einfach dankbar, dass wir in unserer Existenz nicht nur darauf beschränkt sind, für wahr zu halten, was wir sehen, fühlen, schmecken, riechen oder ertasten können. Der christliche Glaube lädt ein, darauf zu vertrauen, dass Gott noch andere Zugangswege zu dieser Welt und zu mir persönlich hat. Mir tut das Versprechen gut, dass Gott mich sieht. Ganz konkret mich. Und dazu ist es mir wichtig, Gott nicht irgendwo allein in der Vergangenheit, in der Glaubensgeschichte verorten zu können. Sondern über das Beziehungsangebot Gottes an mich darum zu wissen: Er ist heute ebenso präsent, wie er es den Menschen damals war und wie er es auch morgen sein wird.

Um diese vielfältigen Formen göttlicher Gegenwart auch rational verstehbar zu machen, ist mir ein sich in vielfacher Weise offenbarender Gott eine wertvolle Stütze für alle erdenklichen Situationen meines Lebens. Ich zahle dafür gerne den Preis, dass ich nicht alles verstehe – weder die überlieferten Gotteserfahrungen unserer biblischen Glaubenszeugen, noch seine gegenwärtige Beziehungsgestaltung mit mir persönlich. Aber ich darf mich im Herzen darauf verlassen, dass sein Wesen so angelegt ist, sich auch jederzeit wohltuend erfahrbar und wirkmächtig in mein Leben einzumischen. Darum überzeugt mich die biblisch offerierte Einheit Gottes, die in Vater, Sohn und Heiligem Geist mit uns Menschen Kontakt sucht. Ich bin überzeugt, dass uns allen gilt:

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (2 Kor 13, 13)

 

Bernhard Wielandt  Gemeindepfarrer