Eintrag 37, KW12/ 2020

„Rückblick auf das abgeschlossene Baurechtsverfahren II: Was macht die Christuskirche zu einem Denkmal?“

Einer der großen Verzögerungen im Baurechtsverfahren stellte das Warten auf eine denkmalfachliche Begründung dar, die für die Beurteilung der Sachlage unumgänglich nötig war. Dazu ist der Hintergrund entscheidend, dass nach einem einschlägigen Urteil des Verwaltungsgerichts Mannheim eine „erhebliche Beeinträchtigung“ eines Kulturdenkmals nur dann konstatiert werden könne, wenn das Denkmal in wissenschaftlicher, künstlerischer oder heimatgeschichtlicher Perspektive nach einhelliger Meinung anerkannter Fachleute einzigartig ist. Dabei ist herauszuarbeiten, was genau ein Denkmal zu einem besonders schützenswerten Allgemeingut (Denkmalwertigkeit) macht und welche Instanzen oder fachlich besonders kompetenten Einzelpersonen jeweils diese Auffassung teilen (Denkmalwürdigkeit). In der bisherigen Auflistung der Christuskirche in der Denkmalliste des Landes Baden-Württemberg fehlte eine solche fachliche Einschätzung völlig. Es ging also um die Frage, ob die Haltung als begründet und objektiv betrachtet werden kann, mit der die Denkmalschützer den geplanten Anbau bis dahin bewertet hatten.

Ich zitiere aus der 11-seitigen „Begründung der Denkmaleigenschaft einschließlich der Erläuterung des öffentlichen Interesses“ des Landesamtes für Denkmalpflege vom 18.06.2019:

Zur Denkmalwertigkeit:

  1. Wissenschaftliche Gründe: „Die 1864-66 errichtete evangelische Christuskirche verkörpert besonders früh und in konsequenter Weise die Ideale des 1861 erlassenen ‚Eisenacher Regulativs‘ […] an dieser Stelle ist festzuhalten, dass es sich um eine sehr frühe Ausprägung der Neugotik im badischen Sakralbau handelt, die von kunstgeschichtlichem Interesse ist. […] Aufgrund der frühen und umfassenden Rezeption des deutschlandweit geltenden ‚Eisenacher Regulativs‘ ist die evangelische Christuskirche in Sandhausen für die Liturgiewissenschaft, die Kirchengeschichte und Architekturgeschichte Badens von wissenschaftlicher Bedeutung.“
  2. Künstlerische Gründe: „Die Auseinandersetzung mit den programmatischen Vorgaben des ‚Eisenacher Regulativs‘ und mit den regionalen Traditionen erfolgte in einer hohen gestalterischen Qualität, die repräsentative und ästhetische Ansprüche erfüllt. […] Bestimmend sind Ausgewogenheit, Regelmaß, durchdachte Stilgebung und rationaler Ausdruck. […] Anregungen und Motive entstammen der Früh- und Hochgotik […] Das dekorative System ist konsistent […] Der sowohl in der programmatischen Ausrichtung als auch im stilistischen Ausdruck innovative Kirchenbau (1864-66) ist ohne konkretes Vorbild. Er ist eine eigenständige Entwicklung und ist ein exemplarisches Beispiel für eine frühe Etappe des Historismus in Baden. Er war vorbildlich für die evangelische Stadtkirche in Ladenburg […]“ Mit ihrem Urheber „Hermann Behaghel (1839-1921)“ sei sie „als

wegweisendes Frühwerk wichtiger Bestandteil im Oeuvre des Architekten und dazu geeignet, die Entwicklung eines der bedeutendsten Architekten des evangelischen Kirchenbaus in Baden anschaulich zu dokumentieren.“

  1. Heimatgeschichtliche Gründe: „Auch für die Ortsbaugeschichte ist die Christuskirche von erheblicher Bedeutung: Ihre Platzierung oberhalb des historischen Ortskerns dokumentiert die erste Ortserweiterung abseits der Ausfallstraßen und bedeutete eine grundsätzliche Neuausrichtung des Siedlungsbilds.“

Zur Denkmalwürdigkeit ist folgendes vermerkt:

„Die Überzeugung, dass es sich bei der evangelischen Christuskirche um ein

wichtiges Bauwerk handelt, ist sowohl im Bewusstsein der Bevölkerung als

auch einem breiten Kreis von Sachverständigen eingängig. […] Die Aufnahme in dem jüngst erschienenen Sakralbauatlas des Rhein-Neckar-Kreis (Sakrale Kunst im Rhein-Neckar-Kreis, hrsg. von Jörg Kreutz und Berne Müller, Heidelberg 2018) dokumentiert, dass die evangelische Christuskirche

durch einen hinreichend breiten Kreis von Sachverständigen als kunsthistorisch relevante Architektur wahrgenommen wird.“

Im deutlich längsten dritten Teil des Schreibens wird die ablehnende Haltung des Landesamtes für Denkmalpflege noch einmal ausführlich erläutert. Nach Auflistung der kritisierten Punkte wird folgendes Fazit gezogen: „Aus denkmalfachlicher Sicht stellt die Planung eine erhebliche Beeinträchtigung des Kulturdenkmals dar und ist somit in dieser Form nicht genehmigungsfähig. Bei dieser Einschätzung spielen vor allem die künstlerischen und wissenschaftliche Gründe eine Rolle.“

Wie wir mit dieser denkmalfachlichen Stellungnahme umgegangen sind, lesen Sie im nächsten Eintrag des Bautagebuches.

Mit herzlichen Grüßen,

Bernhard Wielandt, Pfr.