Die größte Überraschung barg die wissenschaftliche Begründung des Landesdenkmalamtes vom 18.06.2019 in der nicht vorhandenen Berücksichtigung des aktuellen inneren Erscheinungsbildes der Christuskirche. vielmehr wird auch das liturgische Ensemble und die künstlerische Ausgestaltung im Innern allein anhand der ursprünglichen Form aus dem Erbauungsjahr von 1866 bewertet. Die Zerstörungen und Überfremdungen der Ausstattung und der Raumschale durch die verschiedenen Renovierungsmaßnahmen seit der Einweihung finden mit keinem Wort Erwähnung. So kommt Jurist von Albedyll in seinem Entgegnungsschreiben zu dem Schluss: „Es ist wenig nachvollziehbar, wie sich die wissenschaftliche Begründung des Landesamtes für Denkmalpflege angesichts des Fehlens fast der gesamten originären und bauzeitlichen Ausstattung in der Christuskirche Sandhausen auf das Eisenacher Regulativ stützen kann.“ Im Anschluss daran wird noch einmal darauf verwiesen, dass die 19 Kirchen in der Region mit vergleichbarer liturgischer Anlage und aus derselben Bauzeit allesamt deutlich vollständiger und besser erhalten geblieben sind. Nirgends sonst sind die Zerstörungen so groß, wie in der Christuskirche.

Neben diesem phänomenologischen Argument konnten wir der juristischen Anhörung vor allem durch die „Feststellung besonderer gottesdienstlicher Belange“ juristisches Gewicht verleihen. Dazu muss ich ein wenig ausholen: Die Religionsfreiheit ist ein Grundrecht. In Artikel 4, Absatz 2 des Grundgesetzes ist festgeschriebenen: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Daraus hat sich die Rechtsauffassung entwickelt, dass den „kirchenleitenden Behörden“ in manchen Bundesländern die alleinige Befugnis eingeräumt wird, über die Innengestaltung einer Kirche zu bestimmen. Das betrifft auch Renovierungs- und Umbaumaßnahmen im Innenbereich von sakralen Gebäuden, die unter Denkmalschutz stehen. Bisher galt als Usus, dass dieses kirchliche Selbstbestimmungsrecht nur für die Innengestaltung einer Kirche Anwendung finden darf.

Darum war schon seit geraumer Zeit von uns Gemeindeverantwortlichen mit Spannung erwartet worden, welche Teile unseres Bauvorhabens die Landeskirche bereit war, als „besonderen gottesdienstlichen Belang“ zu kennzeichnen. Denn schließlich sieht unser Bauvorhaben eine enge Verbindung zwischen der alten Bausubstanz und dem Neubau vor. Und zudem ist auch mit dem geplanten Beibehalt der „Winterkirche“ (also Abhalten des Gottesdienstes während der Wintermonate im Saal des künftigen Gemeindehauses) unser liturgisches Konzept künftig auch auf die Nutzfläche außerhalb der alten Sakralfläche ausgeweitet.

Unsere Spannung wurde auch dadurch genährt, dass die verantwortlichen Referatsleiter im Oberkirchenrat sichtlich damit gerungen haben, wie weit sie diesen juristischen Trumpf zu unseren Gunsten ausdehnen könnten. Schließlich geht es auch immer darum, als kirchenleitende Behörde die vorhandenen Rechtsgüter nicht über Gebühr zu strapazieren, damit sie auch künftig ihre Wirksamkeit und öffentliche Akzeptanz behalten. Da in der Diskussion mit dem Landesdenkmalamt jedoch trotz angebotener Kompromisse unsererseits keinerlei inhaltliche Annäherung möglich war, reifte bei den Vertretern der Landeskirche der Entschluss, auch bisher noch nicht angewendete Argumente in die „Feststellung besonderer gottesdienstlicher Belange“ einzubringen. Das betrifft vor allem die Themenbereiche der gebotenen Teilhabemöglichkeit sowie das integrale Konzept einer Kirche als Mittelpunkt des künftigen Gemeindelebens in einem größeren Gebäudekomplex.

Am 11. September 2019 veröffentlicht der Oberkirchenrat unter der Verantwortung von Oberkirchenrat Dr. Matthias Kreplin, Referat 1 „Verkündigung in Gemeinde und Gesellschaft“ dieses für unser Verfahren so wertvolle Grundsatzpapier. Es richtet sich sprachlich an uns als Verantwortliche der Kirchengemeinde Sandhausen. Jurist von Albedyll fasst aus dem Dokument die wesentlichen Punkte wie folgt zusammen:

„Die Evangelische Landeskirche Baden hat als obere Kirchenbehörde durch Erklärung vom 11. September 2019 eine Bestätigung nach § 11 DSchG abgegeben. Die Feststellung umfasst drei Teilbereiche des Bauvorhabens:

  • Kirche als Mittelpunkt der Gemeinde: ‚Die Christuskirche steht in dieser ekklesiologischen Konzeption als wichtigstes Element im Mittelpunkt. Um dieses Zentrum sammelt sich die Gemeinde. Dem entsprechend ist der Haupteingang der Kirche der zentrale Zugang zu allen gottesdienstlichen und gemeindlichen Angeboten.‘
  • Teilhabe aller Menschen: Den barrierefreien Haupteingang, um eine Teilhabe aller Menschen zu gewährleisten. ‚Die weiteren Nutzungen, die über die Kirche erschlossen werden, sind ebenfalls barrierefrei über den Haupteingang der Kirche anzubinden. Diesem Anliegen folgend, bildet der Entwurf ein die Kirche einheitlich umgebendes Niveau aus, das allen Menschen Zugang und Teilhabe an sämtlichen Gemeindeaktivitäten ermöglicht.

Ebenso folgerichtig sind demnach auch die geplanten neuen Durchbrüche.‘

  • Anforderungen der Gottesdienste an den Raum: ‚Sie haben auch über die Weiterentwicklung des Innenraums der Christuskirche auf der Basis einer Gottesdienst-Konzeption nachgedacht, die in sich schlüssig und zeitgemäß ist.‘“

Das Schreiben aus dem EOK endet mit dem Satz: „Die gottesdienstlichen Belange für die vorgelegte Planung werden hiermit festgestellt.“ Damit waren folgende Kritikpunkte der Landesdenkmalpflege juristisch entkräftet, die den Anbau an die Kirche betreffen:

  1. Die Kritik an den drei neuen Durchbrüchen.
  2. Der Widerstand gegen die zur Erschließung des Haupteingangs geplante vorgelagerte Treppen- und Rampenanlage unter dem Rückbau der ursprünglichen Treppenstufen.
  3. Das Anheben des Neubaus auf ein Plateau mit dem Kirchenboden und die Stufenlose Angliederung unter Umschließung der alten Sockelzone der Christuskirche.

Nachdem die Verantwortlichen des Landesdenkmalamtes dieses Schreiben vorliegen hatten, wurde uns schon vor Erteilung der Baugenehmigung in außerprotokollarischen Kontakten signalisiert, dass sich die Denkmalschützer aus diesem Projekt zurückziehen werden.

Mit herzlichen Grüßen,

Bernhard Wielandt, Pfr.